04.02.2020 - Seefeld

Zwischen Reiselust und Klimafrust

Die junge Generation steckt in einem Dilemma: Sie verreist gern und will gleichzeitig das Klima schützen. Wie beides zusammengehen kann, schildert Peter-Mario Kubsch, Geschäftsführer von Studiosus.

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Herr Kubsch, Klimaschutz ist für die Jugend von heute mehr als nur ein Hype. Wie kann Reisen klimafreundlicher werden?
Für viele Jugendliche, die sich in der Fridays-for-Future-Bewegung engagieren, ist das ein großer Konflikt. Sie leiden, wie das auch in den Medien so gerne beschrieben wird, unter Flugscham. Wir müssen in der Tat daran arbeiten, das Reisen umweltschonender und vor allem klimafreundlicher zu gestalten. Ich bedaure jedoch, dass wir bei der gesamten Diskussion mittlerweile ein sehr einseitiges Bild vom Tourismus haben. Es stehen nur noch die negativen ökologischen Aspekte im Vordergrund, nicht der soziale und ökonomische Nutzen, der sich für die Menschen in den bereisten Ländern ergibt.

Immerhin entfallen bei Flugreisen 80 Prozent der klimaschädlichen Gase auf die An- und Abreise. Die Wahl des Transportmittels wird damit zu einem entscheidenden Kriterium. 
Das ist richtig. Wo immer möglich, sollten wir auf das Fliegen verzichten. Im näheren europäischen Umfeld gibt es durchaus Alternativen, die Zielregionen mit Bus und Bahn zu erreichen. Irgendwann limitieren sich diese jedoch durch die Zeit und Mühen der Anreise. Etwa 10 Prozent unserer Kunden fragen „erdgebundene“ Reisen in Europa nach, ihr Anteil wird umso kleiner, je weiter entfernt das Zielgebiet ist. Rom wird noch gerne mit dem Zug bereist, beim Golf von Neapel wird es schon schwieriger, das Fliegen zu ersetzen. Das ist auch bei Großbritannien der Fall, weil der Wechsel der verschiedenen Transportanbieter so kompliziert ist.

Braucht es hier bessere Mobilitätskonzepte?
Da gibt es in der Tat noch viel zu tun. In Europa herrscht kein Verbunddenken. Hier müssen sich die verschiedenen Mobilitäts-Anbieter besser vernetzen und aufeinander abstimmen. Viele unserer Reiseangebote per Bahn kommen gar nicht zustande, weil sie an den Anschlussverbindungen scheitern. Aber auch die Deutsche Bahn ist nur wenige Monate im Voraus buchbar, das steht einer langfristigen Planung unserer Angebote entgegen. Was wir brauchen, ist ein einheitliches europäisches Verbund- und Buchungssystem.

Das forum anders reisen fordert in seiner Klimaschutzstrategie, unter 800 Kilometer Entfernung nicht zu fliegen und Flugreisen an eine Mindestaufenthaltsdauer zu koppeln. 
Wenn man in den Urlaub fliegt, sollte man eine möglichst lange Zeit vor Ort verbringen, damit das Verhältnis stimmt. Das ist ein sehr vernünftiger Ansatz, den wir in unseren Angeboten auch so berücksichtigen. Unter 800 Kilometern Entfernung generell keine Flugreisen anzubieten, sehen wir hingegen kritisch – das Nachfrageverhalten des Kunden ist einfach ein anderes, das hängt oft von persönlichen Lebensumständen ab. Wir möchten unseren Gästen diese Wahl selbst überlassen.

Mit welchen Angeboten gewinnen Sie die junge Generation? Was sind die Reisetrends dieser Zielgruppe?
Für die 18- bis 30-jährigen haben wir mit unserer Tochterfirma Marco Polo Reisen eine eigene Produktlinie geschaffen, die Gruppenreisen anbietet. Junge Erwachsene teilen ihre Erlebnisse gerne miteinander. Die Destinationen sind denen der älteren Reisenden, die wir durch die Marke Studiosus erreichen, sehr ähnlich. Der Unterschied ist, dass bei jungen Menschen der Komfortanspruch nicht so hoch ist. Sie wünschen sich hingegen vor allem authentische Erlebnisse und Begegnungen vor Ort.

Können Sie feststellen, dass junge Reisende mittlerweile mehr auf Flugreisen verzichten?
Es sind noch keine Verschiebungen zu den erdgebundenen Reisen in dieser Zielgruppe messbar. Gerade die Jugendlichen tendieren zu weiter entfernten Zielen. Das nähere europäische Umfeld wie Italien und Frankreich kennen viele aus eigenen oder durch die Reisen mit ihren Eltern. Es werden nicht unbedingt nur die typischen Fernreisen mit Fluganreise nachgefragt, sondern beispielsweise auch Griechenland, wo eine Anreise mit Bus und Bahn doch recht mühsam ist. Junge Menschen sind nach wie vor neugierig auf die Welt. Wo sich Fliegen nicht sinnvoll vermeiden lässt, müssen wir eine adäquate Kompensation der Treibhausgase anbieten.  

Welche Kriterien muss eine Klimakompensation erfüllen?
Es muss ein Nullsummenspiel sein, die Emissionen müssen eins zu eins ausgeglichen werden. Durch unser Klimaschutzprojekt in Südindien beispielsweise können nun rund 3.600 Kleinbauernfamilien mit Biogas statt mit Feuerholz kochen. Das spart pro Anlage etwa fünf Tonnen Treibhausgase pro Jahr ein. Diese mit dem so genannten Gold Standard zertifizierten Klimaprojekte steigern die Energieeffizienz und tragen wesentlich zur Entwicklung des näheren Umfelds bei: Die Rodung der Wälder wird vermieden. Die Rückstände aus den Biogasanlagen werden als Dünger verwendet und steigern so die landwirtschaftlichen Erträge. Der Bau der Anlagen schafft Arbeitsplätze vor Ort und sichert den Frauen als offizielle Eigentümerinnen eine höhere Stellung. Die Familien werden zudem durch das Projekt unterstützt, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Die Wirkungen sind also über die CO2-Kompensation hinaus auch durch ihren sozialen Nutzen vielfältig.

Welche Art des Reisens wird mit diesen Klimaschutzprojekten kompensiert?
Wir stellen seit 2012 alle Reisen per Bus, Bahn und Schiff klimaneutral, diese Kompensation ist bereits im Reisepreis eingeschlossen. Darüber hinaus gleichen wir auch unsere eigenen Geschäftsreisen und die unserer Reiseleiterinnen und Reiseleiter aus. Unsere Kunden können ihre Flüge freiwillig über eine Spende an unsere Klimaschutzprojekte kompensieren. Sie wissen damit genau, wo das Geld hinfließt und was es bewirkt. Wir würden die Ausgleichszahlungen für die Flüge gerne von vornerein im Reisepreis inkludieren, haben durch das teurere Angebot dann jedoch einen Wettbewerbsnachteil.

Wieviel Prozent Ihrer Kunden kompensieren ihre Flugreisen denn freiwillig?
Wir liegen hier im niedrigen einstelligen Bereich. Es hat sich allerdings tatsächlich ein „Greta-Effekt“ eingestellt. Im ersten Halbjahr 2019 haben 40 Prozent mehr Kunden ihre Flüge freiwillig kompensiert. Für das 2. Halbjahr hat sich die Kompensationsquote sogar verdoppelt. Das ist sehr erfreulich, dennoch ist die absolute Quote noch sehr gering, der Anteil wäre wünschenswerter Weise noch zu erhöhen.

Muss eine CO2-Abgabe so selbstverständlich werden wie die Kurtaxe?
Ich bin der Meinung, ja. Eine Kurtaxe ist ja auch nicht freiwillig, sondern wird einfach erhoben. Hier ist vor allem die Politik gefragt. Wir brauchen regulative Maßnahmen durch den Gesetzgeber. Es müsste schlichtweg gewährleistet sein, dass jeder, der fliegt, die Treibhausgase über den Flugpreis kompensiert. Immerhin ist hier schon ein erster zaghafter Schritt im Rahmen des Klimapakets der Bundesregierung gegangen worden. Durch die Erhöhung der Luftverkehrssteuer ab 1. April 2020 wird die vormals steuerlich begünstigte Flugbeförderung teurer, gleichzeitig wird ab diesem Jahr die Mehrwertsteuer für das Bahnfahren gesenkt, um dies günstiger zu machen. Durch die Gleichbehandlung der Mobilitätsangebote schafft man ein wettbewerbsneutrales Umfeld.

Wie können die Mehreinnahmen durch die Luftverkehrssteuer sinnvoll eingesetzt werden?
Sie sollten unter anderem in die Forschung, das heißt in die Entwicklung von klimafreundlichen Treibstoffen, wie etwa Power-to-Liquid fließen. Das ist ein Verfahren, bei dem durch regenerativ erzeugten Strom flüssige Kraftstoffe hergestellt werden. Die klimaneutralen Treibstoffe werden dann dem Kerosin beigemischt. Das ist die mittelfristig naheliegende Lösung, um die Klimabelastungen durch die Flugbeförderung zu reduzieren. Die synthetischen Treibstoffe sind jedoch noch deutlich teurer als das bislang subventionierte Kerosin. Da müsste in Forschung und Entwicklung sowie in Produktionsanlagen noch viel Geld investiert werden, damit dann durch eine höhere Produktion der Preis sinkt.

Was glauben Sie, wie die Forderungen nach mehr Klimaschutz das Reisen in den nächsten Jahren verändern wird?
Durch die Fridays-for-Future-Bewegung hat ganz klar ein Bewusstseinswandel eingesetzt. Nicht nur der Anstieg der freiwilligen Klimakompensationsquote spricht dafür, sondern auch andere Daten: Die deutschen Flughäfen verzeichneten im letzten Quartal 2019 weniger Fluggäste, bei der Bahn hingegen steigen die Passagierzahlen. Die Mobilität wird sich zunehmend auf die Schiene verlagern, wenn die Angebote vernünftig sind. Auch die Auswahl der Zielgebiete verändert sich. Viele Deutsche treibt die Klimadiskussion um und sie entscheiden sich, im Inland Urlaub zu machen, die Übernachtungszahlen sind gestiegen. Das alles geht nicht erdrutschartig, sondern allmählich vonstatten. Der Druck, der entstanden ist, setzt sich nach und nach in schlüssiges Handeln um.

Durch die notwendigen Klimaproteste ist auf die Tourismusbranche ein negativer Fokus gerichtet. Wie kann hier der Blick wieder geweitet werden?
Die jungen Klimaaktivisten haben die überfällige Aufgabe übernommen, die Gesellschaft wachzurütteln. Einhergehend mit der moralischen Verpflichtung, dass wir Ältere deutlich mehr tun müssen, um die künftigen Generationen zu entlasten. Nun ist wichtig, dass wir auch medial den Fokus nicht mehr nur auf die negativen Folgen des Reisens richten. Solange wir keine klimaneutralen Transportmittel haben, muss die CO2-Kompensation als legitimes Mittel angesehen werden – die auch gesellschaftlich anerkannt sein muss, damit das ‚böse‘ Wort des Ablasshandels endlich aus der Diskussion verschwindet. Ich verstehe nicht, warum dieser Begriff nur im Kontext des Fliegens eine Rolle spielt. Wenn wir uns in Deutschland klimaneutral stellen wollen, werden wir in den verschiedensten Bereichen nicht um die Kompensation herumkommen. Auch müssen wir den sozialen und ökonomischen Nutzen von Tourismus wieder deutlicher kommunizieren. Wenn Reiseangebote mit Bedacht und intelligent, also nachhaltig, konzipiert sind, haben sie vielfältige positive Wirkungen: Sie tragen nicht nur zur Völkerverständigung, sondern auch zur ökonomischen Wertschöpfung und zu sozialen Errungenschaften in den Destinationen bei. Das alles hat jedoch seinen Preis. Am langen Ende der Diskussion bleibt: Nachhaltigkeit – nicht nur Klimaschutz – gibt es eben nicht umsonst.

Zur Person:  Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre in München sowie an der Stanford University in Kalifornien tritt der Diplom-Kaufmann Peter-Mario Kubsch 1983 in das Unternehmen seines Vaters Werner Kubsch, Gründer von Studiosus, ein. Seit 1987 ist Peter-Mario Kubsch Geschäftsführender Gesellschafter von Studiosus. Darüber hinaus ist er Gründungsmitglied des Studienkreis für Tourismus und Entwicklung e.V., Preisträger der VDRJ (Vereinigung Deutscher Reisejournalisten) und Mitinitiator des Roundtable Human Rights in Tourism. Zudem engagiert er sich im Branchenverband DRV im Ausschuss Recht (seit 1992). Besonderes Engagement zeigt er in allen Fragen des Wechselspiels von Tourismus und Umwelt sowie der Sozialen Verantwortlichkeit des Reisens.

Interview: Stephanie Arns

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