17.10.2018 - Seefeld

Schöne neue Reisewelt?

Online-Buchungsportale und soziale Medien revolutionieren die Tourismusbranche. Nicht nur die junge Reisegeneration macht sich die digitalen Kanäle zunutze. Wie kann dieser Wandel gestaltet werden? Wir sprachen mit Michael Buller, Vorstand des Verband Internet-Reisevertrieb.

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Reiselustig, kosmopolitisch, selbstbestimmt und technikaffin – so lassen sich die „Millennials“, die Generation der 18 bis 35-jährigen wohl am treffendsten beschreiben. In allen Winkeln der Welt unterwegs, auf der Suche nach dem Besonderen und Authentischen. Als „digitale Touristen“ teilen sie täglich millionenfach Reisebilder auf Instagram oder Pinterest, lassen sich von Reiseblogs und YouTube-Videos inspirieren, posten ihre Erfahrungen auf Facebook und kommentieren Unterkünfte oder Sehenswürdigkeiten auf Bewertungsportalen. Digitale Medien sind für die „Generation Facebook“ längst zur wichtigsten Informationsquelle geworden, die großen Einfluss auf ihr Reiseverhalten hat.  

Und dies gilt nicht mehr nur für die Gruppe der „Digital Natives“. „Mittlerweile werden über 90 Prozent der Reiseinformationen aus dem Internet geholt“, weiß der Vorstand des Verband Internet-Reisevertrieb (VIR) Michael Buller. Durch das Internet seien die Produkte transparent geworden und die Kundenbewertungen erleichterten die Entscheidung. „Die Barriere zu reisen, ist so niedrig wie noch nie.“  Digitale Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) für die Urlaubsorganisation zu nutzen, ist ein zunehmender Trend – eröffnen sie den Konsumenten doch vielfältige Möglichkeiten, nicht nur bei der Informationsbeschaffung und Planung, sondern auch bei der Buchung einzelner Leistungen. Mit wenigen Klicks lassen sich über die so genannten Online Travel Agencies (OTA), von Zuhause oder via Smartphone auch von unterwegs, Flüge, Unterkünfte, Mietwagen, Taxis oder Tickets buchen – individuell und spontan.

Der Wandel hin zu den Online-Buchungsportalen ist seit Jahren zu beobachten. Laut Reiseanalyse 2018 der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) e.V. ist das persönliche Beratungsgespräch und die anschließende Buchung über das Reisebüro für 41 Prozent der deutschen Urlauber zwar immer noch der wichtigste Weg, wenn sie eine längere Urlaubsreise (ab fünf Tagen) antreten möchten. 38 Prozent buchten diese 2017 jedoch bereits über Online-Buchungsplattformen. Zum Vergleich: Zehn Jahre zuvor, 2007, waren es lediglich 17 Prozent. Es stehe zu erwarten, so die Studie, dass schon vor 2020 die Mehrheit aller Urlaubsbuchungen im Internet getätigt werden. Bei Kurzurlaubsreisen (ein bis drei Tagen Dauer) ist dies ohnehin bereits der Fall: 64 Prozent der Befragten buchen ihre Kurztrips über Online-Portale.

Die Digitalisierung hat alle Glieder der touristischen Wertschöpfungsketten erreicht. „Der Konsument hat nun selbst Zugang zum Endprodukt und damit löst sich die klassische Aufgabenverteilung zwischen Reisebüros, Veranstalter, Vertrieb, Incoming-Agenturen zunehmend auf“, stellt Buller fest. „Das stellt die Tourismusbranche auf den Kopf“. Auch Innovationen der digitalen Sharing-Economy wie Couchsurfing, Wohnungstausch oder Unterkunftsportale wie AirBNB tragen dazu bei. Nicht ohne Grund hat die Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen (UNWTO) in diesem Jahr ihren Fokus auf die digitale Transformation der Branche gelegt. Nach Schätzungen der Organisation werden sich bis 2025 Marktwerte in Höhe von 100 Milliarden US Dollar von den traditionellen zu den neuen digitalen Geschäftsmodellen und Wettbewerbern verschieben.

„Um das Thema Digitalisierung kommt keine Branche mehr herum“, bringt es Buller auf den Punkt. Für den Verbandschef jedoch kein Grund, sorgenvoll in die Zukunft zu blicken – wenn Unternehmen offen für Veränderung seien und die digitale Transformation zum Teil ihrer DNA machten. Es gebe bereits viele positive Beispiele, wo klassische Reisebüros mit einem überzeugenden Online-Marketing punkten. „Wenn die Kunden sich in digitalen Kanälen und sozialen Medien aufhalten, dann muss man als Unternehmen dorthin gehen“, ist Buller der Überzeugung. Viele Reisebüros schöpften auch bei der persönlichen Kundenbetreuung bereits eine Vielzahl an digitalen Möglichkeiten aus – und helfen durch fachkundige Beratung, die Informationsflut für den Kunden zu bündeln. „Digitale Technologien sind nicht disruptiv, also verdrängend, man muss sie als Teil eines Entwicklungsprozesses betrachten.“

Dennoch, die Digitalisierung der Tourismusbranche wirft eine Vielzahl von Fragen auf. Wo zunehmend künstliche Intelligenz durch selbstlernende Algorithmen das Geschäft übernehmen und das (Reise-)verhalten der Konsumenten steuern, muss geklärt werden, welche gesellschaftlichen Folgen das nach sich ziehen kann. Wenn global agierende Online-Plattformen immer umfangreichere Gesamtpakete anbieten und neue Märkte erschließen, können kleine Anbieter da überhaupt noch mithalten – und zu welchen Konditionen? Wie schaut es mit sozialen und ökologischen Standards aus? Es stellt sich die Frage nach Chancengleichheit und Nachhaltigkeit im digitalen Wettbewerb, und auch danach, wer Verantwortung für touristische Entwicklungen trägt.

Eine gesteuerte Reisewelt? Macht und Einfluss von digitalen Plattformen.“ Darüber diskutieren im Rahmen des diesjährigen „Ammerlander Gesprächs“ am 18. Oktober namhafte Experten aus der Tourismusbranche. Die Gesprächsreihe wird vom Studienkreis für Tourismus und Entwicklung e.V. veranstaltet.

Welche Rolle kommt den Reisebüros in Zukunft zu? Mit diesem Thema werden wir uns auch in unserem Newsportal näher auseinandersetzen – im Interview mit einem Vertreter der Reisebürobranche.

Text: Stephanie Arns

 

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