17.10.2019 -

Festrede: Blick zurück nach vorn

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Prof. Karl Born, 17.10.2019                              Es gilt das gesprochene Wort
Studienkreis für Tourismus                          
Festrede: Blick zurück nach vorn

Die Festrede zum 25jährigen Jubiläum des Studienkreises von einem ehemaligen Vorstand des Großveranstalters TUI halten zu lassen, da muss man schon mutig sein. Da gab es zwar positive Schnittstellen, aber nicht nur.
Ich möchte Bertold Brecht zitieren, was hier an dieser Stelle bestimmt auch eine Überraschung ist. Aus seinem TUI-Roman (heißt wirklich so), eine historisch-satirische Allegorie auf die Weimarer Verfassung, die unvollständig geblieben (ab 1934 in Bearbeitung)  und deshalb nicht so bekannt ist, entnehme ich folgendes Zitat:

Turandot (Tochter des Kaisers): Wenn ich heirate, dann einen TUI.                                               
Kaiser: Du bist ja pervers.

So könnte sich das Gespräch beim Studienkreis abgespielt haben: Jemand: „Ich möchte als Redner einen ehemaligen TUI“, die anderen „Du bist ja pervers“.
Wie auch immer, das haben Sie jetzt davon. 25jähriges Jubiläum.

Das Gründungsjahr 1994 erscheint eine Ewigkeit her.                                                           
Helmut Kohl war gerade mal wieder zum Kanzler gewählt worden                                            
Roman Herzog wurde zum Bundespräsident gewählt (der mit der Ruck-Rede)       
Clinton war Präsident der USA                                                                                            
Mandela wurde Präsident in Südafrika
Gefühlt nicht so weit weg, eine gewisse Angela Merkel wurde zur Umweltministerin bestimmt.
Und ganz nah 1994 wie heute: Bayern München wurde Deutscher Fußballmeister.

Jetzt aber auf Anfang:
Anfang März wurde der neue Studienkreis gegründet, nachdem das Vorgänger-Institut sich finanziell verabschiedet hatte. Zumindest in der ZEIT vom 11.2.1994 habe ich eine Meldung mit einer Menge Vorschusslorbeeren gefunden: Der Studienkreis ist tot, es lebe der Studienkreis.                                                              
17 Gründungsmitglieder waren exakt dieser Meinung, der Studienkreis muss weiterleben.
Unverändert wolle man sich mit den Chancen und Gefahren touristischer Entwicklung, vor allem in der sog. Dritten Welt, beschäftigen und Konzepte für einen umwelt- und sozial verträglichen Tourismus erarbeiten, lautete das Credo.

Dazu muss man wissen, eine Info für die Jüngeren, dass zwei Jahre vorher, also 1992, die legendäre Konferenz der Vereinten Nationen in RIO stattfand. Legendär deshalb, weil damals beschlossen wurde, die Welt künftig auf drei Säulen stehen soll: Ökonomie, Ökologie und Soziales. Die sog. Agenda 21, eine Art internationales Grundgesetz des Handelns. Und ganz wichtig, diese drei Säulen sollten gleichgewichtig sein. In der Praxis wurde die dritte Säule allerdings etwas unterproportional angesprochen.

Als auf dieser oder einer der folgenden Konferenzen, die ohnehin privilegierten Vertreter der nördlichen Halbkugel den Vertretern der sog. 3. Welt leicht ultimativ klarmachen wollten, was jetzt zum Thema Umwelt getan werden muss, ist mir der Auftritt des Präsidenten der Malediven in für mich fast lebensprägender Erinnerung. „But we have hunger“.                                                                                                                
Soll heißen, Ihr habt gut reden, aber unser Hauptproblem ist ein anderes.

Der Studienkreis für Tourismus und Entwicklung ist seit 25 Jahren Vorreiter eines umwelt- und sozialverträglichen Tourismus. Das Bemühen um die Verbindung der beiden Säulen Ökologie (Nachhaltigkeit) und Soziales wurde zum USP des Studienkreises.

Dazu wurden die Sympathie Magazine weitergeführt die, eine Länderkunde auf ganz besonderem Niveau, zur Vertiefung des selbst gestellten Auftrags. Sie erscheinen heute in einer Auflage von 9 Mio Exemplare.

Untrennbar mit dem Studienkreis sind die Ammerlander Gespräche verbunden. Sie sollen den touristischen Dialog fördern.

Genau zwischen dem touristischen Denken wie wir es uns in idealistischer Weise wünschen und der mehr „industriellen Produktion“ beim Großveranstalter, bewegt man sich bei diesen Gesprächen. Die Differenz zwischen beidem nicht zu groß werden zu lassen, war immer wieder die neue Herausforderung bei dieser Veranstaltung. Besonders positiv, man konnte frei reden, es ist nie ist etwas nach außen gedrungen.

Wobei diese Ammerlander Gespräch immer ziemlich „handmade“ waren. Aber das war wahrscheinlich eine absichtliche Einstimmung, da hat man sich persönlich ziemlich heruntergefahren. Das echt bayrische Gasthaus, Schweinsbraten, Zithermusik, Bier aus dem Fass. Da als Großveranstalter-Vertreter mit großen Marketing-Statements anzukommen, hätte in diesem Umfeld schon etwas lächerlich gewirkt.

Das erste Gespräch in 1994  ging wetterbedingt und organisatorisch so in die Hose, dass man sich wirklich wundern muss, dass es noch ein zweites und viele andere gab.                                                                                                                       
Meine persönliche Verbindung zu den Ammerlander Gesprächen, damals noch auf dem Reutberg, muss ca. 1996 gewesen sein.

Als ich mich bei meinen Kollegen für den Folgetag abmeldete, wurde ich gefragt: „Was willst du bei diesen Spinnern?“. Andersdenkende zu diskreditieren, eine Eigenschaft, die wir aus der politischen und anderen Diskussionen kennen, erspart das Nachdenken über sich.

Aber besonders erinnere ich mich an 1998. Thema All Inclusive-Reisen - Zauberformel oder Mogelpackung. Das war für den Vertreter eines Großveranstalters schon ein gewaltiges Auswärtsspiel. Ich freute mich schon auf die angekündigte anschließende Brauereibesichtigung um dem Tribunal etwas zu entkommen.

Dann jammerte uns der Brauerei Besitzer vor, dass er kurz vor der Pleite sei und es dann das schöne spezielle Bier nicht mehr geben würde und er dringend Beteiligungen suche. Wissen Sie was Gruppendynamik ist, wenn dann der eine oder andere sagt, ich bin schon Genosse, und alle einen anstarren.
Also seit 1998 bin ich Genosse bei der Klosterbrauerei Reutberg. Tantieme oder so etwas ähnliches wird nicht ausgezahlt. 

Es ist jetzt fast peinlich, dass ich meine Erinnerung an den Studienkreis mit einer Brauerei verbinde.
Ich war aber auch in Zukunft vorsichtig. Im folgenden Jahr stand als Exkursion ein Besuch auf einem Bauernhof an, da bin ich sicherheitshalber gar nicht zum Gespräch angereist. Man weiß ja nie, was die Gruppendynamik diesmal bewirkt hätte.

Die Themen der Ammerländer Gespräch waren und sind auch in besonderer Intensität Spiegelbild der Diskussion der Branche in den letzten 25 Jahren.
Thema Menschenrechte, Urlaubsträume vs. Realität, hat die Pauschalreise Zukunft, Reisen nach dem Discount Prinzip oder z.B. in 2007 „Gibt es klimabewusste Lösungen beim Reisen oder zelebrieren wir lieber den fortgesetzten Selbstbetrug“.

Aber für mich bleibt als Überschrift für den Studienkreis, der Einsatz für eine „ganzheitliche“ sozial- und umweltverantwortliche Tourismusentwicklung.
Spätestens jetzt möchte ich auch den TO DO- Award des Studienkreises, der besonders das Thema Sozialverantwortlichkeit im Fokus hat, herausstellen, der ebenfalls seinen 25. Geburtstag feiert. Mit Recht ist der Studienkreis hier auf seine Vorreiter Rolle stolz. 2017 wurde mit dem TO DO Award „Human Rights in tourism” eine Auszeichnung ins Leben gerufen, die dem Thema Menschenrechte im Tourismus Rechnung trägt.
Grenzüberschreitendes Reisen fördert Begegnungen und interkulturelles Lernen – ein wichtiger Beitrag zum Abbau von Vorurteilen auf beiden Seiten.
Nobelpreisträger John Steinbeck: „Fremdenverkehr und –reisen fördern den Frieden. Es ist beinahe unmöglich ein Volk zu hassen, das man näher kennengelernt hat.

Deshalb meine These: Der Tourismus der letzten Jahrzehnte  hat mehr für den Frieden in Europa bewirkt als der dafür vielbeschworene Euro.

Thema der Festrede: Blick zurück nach vorn? Wo ist in den kommenden Jahren „vorn“? Ist das alte „vorn“ auch das neue „vorn“?
Ja, ich glaube, da wo der Studienkreis bisher vorn war, sollte er auch in Zukunft vorn sein. Trotz stark verändertem Umfeld, sind die Pfeiler auf dem der Studienkreis steht dafür stabil.
Ein Blick auf die Homepage des Studienkreises: 
Mission Statement: Zukunftsfähiger Tourismus braucht Visionen!             

Unser Altkanzler Helmut Schmidt ist ja nicht da. Aber er hat es auch anders gemeint. Ihn störten jene Zeitgenossen, die sozusagen hauptamtlich „nur“ Visionen hatten, aber nicht an der Umsetzung interessiert waren.
„Mein Studienkreis“ soll sich auch in Zukunft für Menschenrechte, religiöse Vielfalt, interkulturelle Begegnung,  gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bzw. Rassismus, für Chancengleichheit, ökologische und soziale Verträglichkeit einsetzen. Da fühle ich mich zugehörig.
Aber in einem sich wieder mal verändertem Umfeld. Tourismus neu denken,  immer wieder neu denken. Das Problem beim Blick in die Zukunft ist die Vernetzung mit den anderen Bereichen des Lebens.
In der langfristigen Planung spricht man deshalb auch von „der Wildcard des Lebens“. Damit sind Ereignisse gemeint, deren Eintritt ziemlich unwahrscheinlich ist, aber wenn sie doch eintreten, dann haben sie außerordentliche Auswirkungen: Attentat auf die Türme in New Yor, Flüchtlingskrise, Veränderungen durch social media, Energiewende und jetzt die Auswirkungen der Klimadiskussion.

Tourismus bringt Menschen zu Menschen. Urlaubsreisen in andere Kulturen, Chance die Vielfalt der anderen zu verstehen. Das bedeutet Reisen und zwar in Gebiete, die man gemeinhin nur mit dem Flugzeug erreichen kann.
Sich so klimaschonend zu verhalten, wie auch unter Anstrengung möglich, ist in meinen Augen eine Grundsatzaufgabe und das nicht erst seit gestern. Aber bitte nicht eindimensional diskutieren, sondern immer im Kontext zu anderen Problemen.
Ich möchte nicht auf einem Planeten leben, der zwar klimaneutral ist, der aber die Schere zwischen Nord und Süd weiter öffnet, die Menschen in der 3. Welt weiter in Armut stürzt ohne jegliche Perspektive („but we have hunger“) und wo Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Menschenrechte und Reisefreiheit  sind nicht ohne Grund ein Zwillingspärchen.

Genauso wenig möchte ich allerdings auch auf einem Planeten leben, mit der Ignoranz der Politik, nach mir die Sintflut. Sondern ich möchte auf einem Planeten leben, wo die Komplexität erkannt und gelöst wird. Und zwar gesamthaft. In diesen Zusammenhang gehören auch die Zukunfts-Visionen des Studienkreises.  

Hier irrt Hans Magnus Enzensberger: “Ziel der touristischen Reise ist es, die Richtigkeit der Informationen aus dem Reiseführer zu überprüfen. Er will seine Vorurteile bestätigt bekommen.“
Nein: Tourismus schafft Perspektiven... ...und verändert Sichtweisen.

Die Erklärung der Wirklichkeit ist immer nur eine Beschreibung, nicht die Wirklichkeit selbst. Der Wirklichkeitsbegriff bezieht sich immer auf den aktuellen Wissensstand eines Menschen. In dem Maße wie der Mensch dazulernt, verändert er sein Wissen und damit die von ihm konstruierte Wirklichkeit.
Der Gedanke, dass es nur eine Wirklichkeit gäbe ist ohnehin die gefährlichste aller Selbsttäuschungen. Der Glaube ist dann noch gefährlicher, wenn er mit messianischer Berufung verbunden ist, die Welt entsprechend aufzuklären und ordnen zu müssen  (Paul Watzlawick: Wir wirklich ist die Wirklichkeit).
Ist bei Tourismuskritikern mitunter Basisüberzeugung. Ich erspare mir an wen ich sonst noch besonders denke.  
Als ausgesprochener SF-Fan, fand ich auch dieses zum Thema Wirklichkeit amüsant: Douglas Adams. „Das Restaurant am Ende des Universums“.
Gefräßige Plapperkäfer machen für vorbeikommende Touristen oft ein sehr gutes Essen.
Gefräßige Plapperkäfer machen  aus vorbeikommenden Touristen oft ein sehr gutes Essen.
Aber: Der Reiseführer ist endgültig, die Wirklichkeit ist oft ungenau.
Wird manchmal auch für Planungen in Politik und Wirtschaft so gesehen.
Was mich in der Tourismusdiskussion besonders stört ist, dass jeder sich den Tourismus als Diskussionsbasis heraussucht, den er besonders toll oder besonders schrecklich findet.
Nikolas Born. Die Zukunft liegt schon in der Gegenwart im Argen
Früher beeinflusste der Tourismus stark den Zeitgeist, heute beeinflusst der Zeitgeist den Tourismus.
Geiz ist geil, gab es schon vor den Billigflügen.
Nur Urlaub machen, billig und wo egal, Ziel egal. Das erinnert mich an Kolumbus: Bei der Abreise wusste er nicht wohin und als er zurückkam wusste er nicht wo er war.

Wenn der in Venedig wohnende Dirk Schümer, Europakorrespondent von „Die Welt“ sich beklagt, er könne morgens auf dem Markt nicht mehr in Ruhe seinen Fisch kaufen, weil immer irgendein Tourist sich mit seiner Kamera vordrängt.
Typisches Problem von Overtourismus? Oder erleben Sanitäter und andere Rettungskräfte das nicht tagtäglich bei ihrem Einsatz, teils sogar unter Lebensgefahr?
Overtourismus ist besonders dem Unvermögen oder sogar der finanziellen Gier der Kommunen geschuldet. Einen Großteil der Probleme ließe sich durch einfache kommunale Maßnahmen reduzieren.
Aber ist das der Tourismus? Sind die Hooligans der Fußball?
Aber auch das ist es nicht, die vermeintlich ganz Intellektuellen, Elitären, weit von der Vielfalt der Wirklichkeit entfernt sind.

Artikel in einer renommierten Zeitschrift: „Von der Sinnlosigkeit des Reisens.                            
Auf dem ganzen Globus werden die Kulturen und Lebensstile immer ähnlicher, daher führt das Reisen immer weniger in die Fremde. Man kommt an, wo man aufgebrochen ist. Rio, Paris, München.“
Was bleibt zum Schluss?
Ist es Immanuel Kant: Der romantische Tourist ist derjenige, der sogar seinen eigenen Untergang als mögliches Reiseziel erkennt um es als erhabenes Ereignis zu erleben
Oder ist es nochmal ein weiterer Irrtum von Enzensberger, wenn er vom Aufstand der Bereisten sprach.  
Kriegsflüchtlinge → Fluchtursachen bekämpfen, aber weiterhin Waffen liefern Wirtschaftsflüchtlinge → Unterschied nördliche und südliche Halbkugel        
Klimaflüchtlinge → wenn wir nicht endlich Lösungen finden
Aber noch keine Tourismusflüchtlinge, solange wir im Tourismus Chancen bieten, statt die Menschen auszunutzen.  

Wo ist also vorn für den Studienkreis?
Spagat zwischen Verständnis und Gemeinschaft stiftenden Aspekten des Reisens einerseits  und ökologischen und sozialen Verwerfungen andererseits. Egal ob letzteres in der Politik begründet oder durch Tourismusströme 

Aber auch das muss dringend hinzugefügt werden:
Zusätzliche Hilfe bei der Weiterentwicklung in den betroffenen Zielgebieten. Aber nicht zu unseren Bedingungen. Weiterentwicklung kann auch heißen, dass es danach nicht mehr ist, wie es war. Ursprünglichkeit kann verloren gehen, wenn es die Betroffenen als Verbesserung empfinden. Der Gedanke „Lendenschutz for ever“ um die Ursprünglichkeit eines Zielgebietes zu bewahren, schüttelt mich genauso, wie Menschen zu ihrem von uns definierten Glück zu zwingen.
Bleibt ein weiteres Hindernis als sehr schwer zu lösendes Problem,  die politischen Gegebenheiten in den entsprechenden Zielländern. Da wird auch der Studienkreis manchmal an seine Grenze stoßen.
Aber: Einfach kann jeder
Dicke Bretter bohren kann der Studienkreis.

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag und weiterhin viel Erfolg in der Zukunft

Danke für Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Verständnis.


Bertold Brecht: „Brechts TUI-Kritik“ oder auch: „Turandot oder der Kongress der Weißwäscher“
Paul Watzlawick: „Wie wirklich ist die Wirklichkeit“  
Nicolas Born: „Die Fälschung“
Immanuel Kant: „Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen“
Magnus Enzensberger: „Theorie des Tourismus in Einzelheiten“ auch an anderen Stellen  

 

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