15.07.2019 - Seefeld
Reisen und Helfen
Freiwilligenarbeit im Ausland wird immer mehr zum touristischen Produkt. Wie sieht ein nachhaltiger und verantwortungsvoller Voluntourismus aus? Wir sprachen mit Laura Jäger von der Arbeitsstelle Tourism Watch bei Brot für die Welt.
Download PDFVoluntourismus, eine Wortschöpfung aus Volunteering und Tourismus, liegt im Trend. Viele junge Erwachsene kombinieren eine Auslandsreise mit einer freiwilligen ehrenamtlichen Tätigkeit vor Ort. Was treibt sie an?
Es ist begrüßenswert, dass immer mehr Menschen den Wunsch haben, hinter die touristischen Kulissen zu blicken und sich vor Ort zu engagieren. Weltweit waren 2011 rund 10 Millionen Menschen als Freiwillige im Ausland unterwegs, darunter auch immer mehr Deutsche. Während man früher vor allem auf eigene Faust ein Praktikum oder eine Reise organisiert hat oder mit einer Jugendgruppe unterwegs war, gibt es heute zahlreiche touristische Komplettangebote auf dem Markt. Die Motive der Freiwilligen sind vielfältig. Viele nutzen die Zeit zwischen Abitur und Studium, um sich zu orientieren. Junge Leute verspüren den Druck, Sprachkompetenzen und Auslandserfahrung vorweisen zu müssen, auch soziales Engagement macht sich gut im Lebenslauf. Es interessieren sich aber auch zunehmend Berufstätige im Sabbatical bzw. Senioren für Voluntourismus-Angebote.
Grundsätzlich muss man zwischen dem gesetzlich geregelten Freiwilligendienst und kommerziellen Anbietern unterscheiden.
Geregelte Freiwilligendienste sind staatlich gefördert, damit verbunden sind gewisse Auflagen und Qualitätskriterien, etwa eine lange Aufenthaltsdauer zwischen sechs und 24 Monaten und eine mehrwöchige Vor- und Nachbereitung. Knapp 7.700 Deutsche haben 2016 einen staatlichen Freiwilligendienst im Ausland geleistet. Die Zahl derer, die mit Voluntourismus-Angeboten unterwegs waren, liegt deutlich höher. Diese Einsätze sind meist wesentlich kürzer und versprechen einen hohen Abenteuer- und Erlebnisfaktor. Es gibt dabei alle erdenklichen Reiseformen: Man kann spontan einen Tag im Waisenhaus aushelfen, zwei Wochen im Anschluss an eine Rundreise ein Artenschutzprojekt unterstützen oder für mehrere Monate in einem Sozialprojekt mitarbeiten. Die Angebote richten sich vor allem nach den Bedürfnissen der zahlenden Kunden. Wir beobachten eine zunehmende Kommerzialisierung dieses Bereichs. Voluntourismus ist weltweit zum lukrativen Wirtschaftsfaktor geworden – mit jährlichen Umsätzen in Milliardenhöhe.
Und ist damit in die Kritik geraten. Die kommerziellen Anbieter verdienen mit Freiwilligenarbeit viel Geld – der Nutzen ist jedoch oft fraglich.
Viele Anbieter vermarkten ihre Reisen mit entwicklungspolitisch fragwürdigen Klischees. Dabei stellen sie die Freiwilligen als aktive Weltverbesserer und die Menschen vor Ort als dankbare, aber passive Empfänger von Hilfe dar. Kaum ein Anbieter überprüft, ob die Voluntouristen die Motivation und notwendige Qualifikation mitbringen, um sich sinnvoll in das Projekt vor Ort einbringen zu können. Vorbereitungskurse werden oftmals nur gegen Bezahlung angeboten, sind meist zu kurz und fast nie verpflichtend für einen späteren Einsatz. Wenn Projekte in erster Linie die Wünsche der zahlenden Kunden befriedigen, werden die aufnehmenden Organisationen vor Ort zu touristischen Dienstleistern und die Menschen zur Kulisse. Partnerschaften auf Augenhöhe und gemeinsames Lernen sind so nicht möglich. Im schlimmsten Fall hilft der Voluntourismus nicht nur wenig, er kann sogar schaden. So stellen Voluntouristen, die für ihre Arbeit bezahlen, nicht selten eine Konkurrenz für lokale Arbeitssuchende dar.
Auch der „Waisenhaustourismus“ wird kritisiert. Warum?
Studien aus Kambodscha beispielsweise zeigen, dass viele der vermeintlichen Waisen noch lebende Elternteile haben und getrennt von ihren Familien aufwachsen müssen. Skrupellose Menschenhändler nutzen den Wunsch der Reisenden zu helfen aus und überreden Familien in wirtschaftlicher Not, ihre Kinder in der Hoffnung auf ein besseres Leben ins Heim zu geben. Die Heimkinder leiden häufig unter Bindungsstörungen, da die Freiwilligen nur kurz bleiben und sie damit ihre Bezugspersonen verlieren. Tourism Watch rät daher dringend von Voluntourismus-Angeboten in Waisenhäusern ab.
Auf was ist bei Projekten in Kindergärten und Schulen zu achten?
Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen bedarf einer besonderen Sorgfalt. Grundsätzlich gilt: Je länger die Aufenthaltsdauer und je mehr Vorerfahrung, pädagogische Ausbildung und Sprachkompetenz die Freiwilligen haben, desto besser können sie sich einbringen. Voluntouristen sollten keine eigenständige Lehr- oder Betreuungsverantwortung übernehmen, sondern lediglich das feste Personal unterstützen. Auch ergeben sich in vielen Projekten oder bei der Unterbringung bei Gastfamilien zahlreiche Situationen, in denen Voluntouristen mit Kindern allein sind. Damit geht potentiell auch eine gesteigerte Gefahr einher, dass Kinder Opfer sexueller Gewalt werden können. Die kommerziellen Anbieter sollten daher Strategien haben und Maßnahmen zum Schutz von Kindern umsetzen – dazu zählt eine verbindliche Vereinbarung, wie sich Freiwillige gegenüber Kindern zu verhalten haben. Ebenso sollte von den Bewerbern ein polizeiliches Führungszeugnis eingefordert werden, um festzustellen, ob diese bereits strafrechtlich belangt wurden.
Woran erkennt man nachhaltige und verantwortliche Angebote?
Beim Voluntourismus gelten dieselben Nachhaltigkeitskriterien wie bei anderen Tourismusformen auch – das geht schon bei der Flugreise los. Darüber hinaus ergeben sich weitere Besonderheiten. 2015 hat die Organisation „Fair Trade Tourism“ aus Südafrika ihre Standards um Kriterien für verantwortungsvolle Voluntourismus-Angebote erweitert. Dazu zählen neben einer Kindesschutz-Policy auch die sorgsame Auswahl und intensive Vorbereitung der Freiwilligen sowie die faire Zusammenarbeit mit den lokalen Organisationen. In Deutschland gibt es bis dato keine zertifizierten Voluntourismus-Anbieter, die sich zu gewissen Mindeststandards bekennen und sich einer unabhängigen Untersuchung unterziehen. Wir raten Interessierten daher, Fragen zu stellen. Mit welchen Aktivitäten trägt der Reiseveranstalter aktiv zur Verbesserung der Lage im Gastland bei? Erfolgt die Zusammenarbeit mit den lokalen Organisationen auf Augenhöhe? Inwieweit gestaltet die Organisation vor Ort den Einsatz der Freiwilligen aktiv mit? Ein guter Anbieter macht zudem transparent, welchen Anteil des Reisepreises die aufnehmende Organisation erhält.
Inwieweit können die Freiwilligen zum Erfolg des Einsatzes beitragen?
Ich möchte Reisende dazu ermutigen, die eigenen Fähigkeiten und Erwartungen, aber auch die verfügbare Zeit realistisch einzuschätzen. Als Leitsatz können sich Freiwillige daran orientieren, ob sie in Deutschland ausreichend qualifiziert wären, um die angestrebte Tätigkeit erfolgreich zu bewältigen. Wer mit wenig Erfahrung ins Ausland geht, der sollte möglichst lange bleiben und ist mit einem geregelten Freiwilligendienst gut beraten. Denn dabei steht vor allem der gegenseitige Austausch und globales Lernen im Vordergrund.
Sollten sich viele vom Anspruch lösen, mal eben die Welt retten zu können?
Voluntourismus ist nicht mit Entwicklungszusammenarbeit gleichzusetzen. Um die Lebenssituation der Menschen vor Ort zu verbessern und gesellschaftliche Veränderungsprozesse anzustoßen, braucht es langfristige Strategien und Expertise. Voluntouristen sollten sich daher von überzogenen Erwartungen verabschieden. Und dennoch kann auch ein kurzer Freiwilligeneinsatz eine sehr bereichernde Erfahrung sein. Die Teilnehmer lernen in der Fremde nicht nur viel über andere Kulturkreise, sondern auch über sich selbst. Sie verstehen nach ihrem Aufenthalt globale Zusammenhänge besser – etwa welche Auswirkungen ihr eigenes Konsumverhalten hat. Das ist ein wichtiger Perspektivwechsel. Voluntouristen haben die Chance, im Ausland Erfahrungen zu sammeln, die ihren Blick auf die Welt verändern.
Zur Person: Laura Jäger studierte Tourism and Event Management (B.A.) sowie Geografie (Umwelt, Kultur und Tourismus, M.A.). Bei Tourism Watch ist sie für die Koordination von Projekten, Kommunikation und Netzwerken zuständig.
Interview: Stephanie Arns
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