08.07.2019 - Seefeld

Forschungsergebnisse Reiseleitung

Mehr wissen – mehr Durchblick! Urlaubsreisende in Entwicklungs- und Schwellenländern haben differenzierte Erwartungen an die Reiseleitung vor Ort. Gefragt sind Brückenbauer zwischen den Kulturen.

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Urlaubsreisen in ferne Länder erfreuen sich großer Beliebtheit. Jedes Jahr besuchen ca. zehn bis elf Millionen Urlauberinnen und Urlauber aus Deutschland Reiseländer außerhalb Europas. Die überwiegende Mehrheit hält sich dabei in sogenannten Entwicklungs- oder Schwellenländern auf. Dort ist das Leben der Menschen nicht nur durch andere kulturelle Wertmaßstäbe geprägt, sondern häufig auch durch gravierende soziale, wirtschaftliche oder politische Probleme.

Ob Urlaubsreisen zu einem besseren Kennen- und Verstehen lernen fremder Menschen und Kulturen führen, zu einer Zunahme von Wissen, einem differenzierten und realitätsnahen Urteil, ist pauschal nicht zu beantworten. Erfolg oder Misserfolg hängen im Einzelfall von zahlreichen Bedingungsfaktoren ab, zu denen nicht zuletzt die Häufigkeit, Art und Ausprägung der eigenen Reiseerfahrung gehören. Glücklich schätzen kann sich jeder, der im Urlaub von Menschen betreut oder begleitet wird, die ihm Land und Leute in kompetenter, ansprechender Weise – unter Einschluss persönlicher Begegnungen mit Einheimischen – transparenter und begreifbarer machen. Zu solchen Brückenbauern zwischen den Kulturen zählen speziell ausgebildete Reiseleiterinnen und Reiseleiter.

Anfang 2019 waren immerhin zwei Fünftel jener knapp 37 Mio. Bundesbürger, die bereits über Urlaubsreiseerfahrung in Entwicklungs- und Schwellenländern verfügen, der Auffassung, dass der Urlaubstourismus in Länder des Globalen Südens bei uns das Verständnis für die Probleme dieser Länder fördert – das heißt, den Reisenden ermöglicht, sich zu Hause kompetenter und differenzierter über Land und Leute zu äußern. Drei Fünftel bekundeten ein hohes Interesse, auf solchen Reisen von einem Reiseleiter im Rahmen organisierter Ausflüge etwas über Land und Leute zu erfahren.

Siehe:Presse-Information 6/2019

Da Reiseleiter-Informationen über Land und Leute jedoch im Einzelfall ein mehr oder weniger weites Feld abdecken können, hat der Studienkreis für Tourismus und Entwicklung e. V. in den vergangenen Jahren mehrfach im Rahmen von Exklusivfragen in der Reiseanalyse (Basis ca. 8.000 face-to-face-Interviews) untersucht, welche diesbezüglichen Erwartungen Urlaubsreisende mit aktueller Entwicklungsländer-Erfahrung an die Reiseleitung vor Ort haben.

Die Wünsche reichen von eher „klassischen“ Informationen über touristische Sehenswürdigkeiten, die Geschichte des Landes sowie angemessenes Verhalten im Gastland, bis zu komplexen, schwierigeren Themen wie Menschenrechte, Umweltprobleme, die Rolle von Frauen in der Gesellschaft oder die Bedeutung der Religion im Alltag. Dazu zählen auch Informationen über die Ursachen von Entwicklungsproblemen des jeweiligen Landes, die Frage, wie das Land in Bezug auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft funktioniert bzw. „tickt“ und welche unterschiedlichen Interessen und Meinungen in der einheimischen Bevölkerung vertreten sind (es gibt ja nicht die Türken, die Mexikaner oder die Muslime). Gut 50 Prozent der Entwicklungsländer-erfahrenen Urlauberinnen und Urlauber sehen anspruchsvolle Reiseleiter-Informationen über Land und Leute für sich persönlich als wichtig oder besonders wichtig an. 57 Prozent erwarten von der Reiseleitung Informationen über Möglichkeiten zu persönlichen Begegnungen mit Einheimischen. Nur eine kleine Minderheit von ca. 10 Prozent hält all dies für völlig unwichtig (siehe Grafik).

Wenn es um die Art und Qualität der Informationsvermittlung geht, liegt die Messlatte hoch: 84 Prozent der Urlauber erwarten von der Reiseleitung vor Ort eine objektive, glaubwürdige Information über Land und Leute  – 75 Prozent gehen davon aus, dass dies in kreativer und lebendiger Form erfolgt und 72 Prozent wünschen sich, dass die Alltagsrealitäten im jeweiligen Entwicklungs- oder Schwellenland einfühlsam vermittelt werden.

Keine leichte Aufgabe für die Brückenbauerinnen und Brückenbauer, denn gleichzeitig sollen sie – als Grundvoraussetzung für eine gelungene Urlaubsreise – einen reibungslosen Ablauf gewährleisten und sich aktiv um die persönlichen Urlaubswünsche ihrer Gäste kümmern.

Falls das alles gelingt, kann die Urlaubsreise jedoch über ein Alle-Jahre-wieder-Ritual hinauswachsen und zum Bestandteil der individuellen Lebensgeschichte und des eigenen Weltverständnisses werden. Damit es auch gelingen kann, führt der Studienkreis für Tourismus und Entwicklung seit mehr als 25 Jahren interkulturelle praxisorientierte Trainingsseminare für Tour Guides in Entwicklungs- und Schwellenländern durch. Dies erfolgt in Kooperation mit Reiseveranstaltern, Touristikagenturen, staatlichen Einrichtungen des Tourismussektors oder Tour Guide Associations, welche die Kompetenz ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bereich der Reiseleitung und Urlaubsbetreuung stärken wollen. Die Seminare vermitteln die nötigen fachlichen, methodischen und sozialen Kompetenzen, damit im Urlaub interkulturelles Lernen gelingen kann – zur Stärkung des persönlichen Urteilsvermögens der Reisenden.

Siehe: Unsere Intercultural Tourguide Qualification

Intercultural Tour Guide Qualification „Sustainability“ für ReiseleiterInnen der bolivianischen Reiseleitervereinigung, La Paz, Bolivien, März 2019

Intercultural Tour Guide Qualification „Basic“ für englischsprachige ReiseleiterInnen von PECTA (Pamir Eco-Cultural Tourism Association), Khorog, Tadschikistan, November 2017

Die Ergebnisse weiterer Forschungsdaten zum Thema „Erwartungen an die Reiseleitung in Entwicklungs- und Schwellenländern“ werden in einer Neuauflage der Studie „Tourismus in Entwicklungs- und Schwellenländer“ im Rahmen der Schriftenreihe für Tourismus und Entwicklung veröffentlicht. Hierbei finden auch soziodemografische und Reiseverhaltensmerkmale Berücksichtigung sowie Erwartungs-Typologien, Ansprechbarkeiten auf sozial- und umweltorientiertes Reisen.

Text: Susanne Egermeier, Dr. Dietlind von Laßberg, Armin Vielhaber

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