Urlaubsreisen der Deutschen in Entwicklungs- und Schwellenländer

Im Quellmarkt Deutschland haben Reisen in Länder des Globalen Südens 2017 wieder zugelegt. Mehr als jeder Fünfte Auslandsurlauber reiste in ein Entwicklungs- oder Schwellenland.

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Presse-Information
Nr. 11/2018

Urlaubsreisen der Deutschen in Entwicklungs- und Schwellenländer

Im Quellmarkt Deutschland haben Reisen in Länder des Globalen Südens 2017 wieder zugelegt. Mehr als jeder Fünfte Auslandsurlauber reiste in ein Entwicklungs- oder Schwellenland.

Seefeld, 12.06.2018 - Nach einem deutlichen Rückgang im Jahr 2016, der vor allem im Einbruch des Türkei-Tourismus begründet war, hat der Urlaubstourismus in Entwicklungs- und Schwellenländer 2017 wieder zugelegt: Auf Basis ihrer Haupturlaubreise mit einer Mindestdauer von fünf Tagen sind 9,0 Mio. deutschsprachige Urlauberinnen und Urlauber ab 14 Jahren* in ein Land des Globalen Südens gereist (2016: 8,0 Mio.). Das sind 17% aller Urlaubsreisenden und 22% der Auslandsurlauber (siehe Grafik 1).

Dabei hielten sich 4,8 Mio. in einem nahe gelegenen Entwicklungs- oder Schwellenland des Mittelmeerraums auf: Hiervon entfiel der Großteil auf das Schwellenland Türkei (3,4 Mio.), weitere 1,4 Mio. bereisten Urlaubsziele in Nordafrika (Ägypten, Tunesien, Marokko). 3,7 Mio. besuchten Fernziele in Asien, Lateinamerika/Karibik oder Afrika südlich der Sahara. 0,5 Mio. machten Urlaub in GUS-Staaten (einschließlich dem Schwellenland Russland) oder in der Mongolei.

Die Erholung der Urlauberzahlen im deutschen Quellmarkt für Reisen in Länder des Globalen Südens resultierte 2017 vor allem aus einer (v. a. Ägypten-bedingten) Wiederzunahme von Nordafrika-Reisenden und einem weiteren Ansteigen von Besuchern ferner Entwicklungs- und Schwellenländer (Grafik 2).

Gr. 1: Reiseziele der Haupt-Urlaubsreise 2017, ab 5 Tagen Dauer
(Basis: deutschsprachige Wohnbevölkerung ab 14 Jahren)

* darunter 7,4 Mio. deutsche Staatsbürger und 1,6 Mio. in Deutschland lebende deutschsprachige Ausländer.

Drastischer Rückgang deutscher Türkei-Urlauber wurde 2017 gebremst. Negative politisch bedingte Rahmenbedingungen hatten 2016 Einbruch der Besucherzahl verursacht.
 

Gr. 2 Urlaubsreisende aus Deutschland in Entwicklungs- und Schwellenländern
(Haupt-Urlaubsreise, ab 5 Tagen Dauer)

Die Destination Türkei hatte 2016 einen starken Rückgang deutscher Urlauberinnen und Urlauber erfahren. Im Vergleich zu 2015 kamen auf Basis der Haupturlaubsreise 1,08 Mio. Deutsche weniger (-31%). Dieser Rückgang hat sich 2017 nicht in dem Ausmaß fortgesetzt: Es kamen 2,3 Mio. deutsche Besucher ab 14 Jahre – das waren 4% weniger als 2016 (2,4 Mio.);
(Grafik 2).

Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der drastische Besucher-Rückgang im Jahr 2016 in Defiziten des touristischen Angebots der Türkei begründet war. Guter Service, gutes Preis-Leistungsverhältnis und eine gastfreundliche Bevölkerung zählen seit Jahren zu den Angebotsmerkmalen, die sich bei deutschen Türkei-Urlaubern einer hohen Wertschätzung erfreuen.

Die Ursachen dürften vor allem in einer skeptischen Einschätzung der Gewährleistung der persönlichen Sicherheit gelegen haben. So sahen im Januar 2016 nur noch etwa ein Fünftel der deutschen Türkei-Reisenden des Jahres 2015 die persönliche Sicherheit in der Türkei als gegeben an. Die politische und soziale Situation der Destination wurde nur noch von einem Fünftel als akzeptabel angesehen. Hinzu kamen ab Sommer 2016 zunehmend medienpräsente Belastungen der deutsch-türkischen/türkisch-deutschen politischen Beziehungen, die es so in der Vergangenheit nicht gegeben hatte. Zusammen genommen handelte es sich um negative politische Rahmenbedingungen, deren Entstehung und Entwicklung der Tourismussektor der Türkei nicht zu vertreten hatte.

Strukturveränderungen bei deutschen Türkei-Reisenden 2016: Türkei-Erstbesucher,
obere Bildungs- und Sozialschichten aber auch Frauen blieben verstärkt fern.

Der Studienkreis für Tourismus und Entwicklung, der den deutschen Quellmarkt für Urlaubstourismus in Entwicklungs- und Schwellenländer seit vielen Jahren kontinuierlich beobachtet und analysiert, hat auf Basis der Reiseanalyse (ca. 8.000 face-to-face- Interviews) ermittelt, dass mit dem 2016 erfolgten signifikanten Rückgang deutscher Urlauberzahlen in der Türkei deutliche Veränderungen der Besucherstruktur einhergingen. Zwar waren nahezu sämtliche relevanten Marktsegmente am Einbruch der Besucherzahl (-1,08 Mio. = -31%) beteiligt, aber einige besonders stark.

Auf der Basis von absoluten Zahlen zeigt sich z.B. 2016 im Vergleich zum Vorjahr ein deutlich überdurchschnittlicher Rückgang bei jenen, die zum ersten Mal die Türkei bereisen (-50%); (Grafik 3). Türkei-Wiederholer blieben der Destination in geringerem Maße fern (-20%). Türkei-Urlauber, bei denen Kultur- und Bildungsmotive zu den „besonders wichtigen“ allgemeinen, destinationsunabhängigen Urlaubsmotiven zählen, zeigten 2016 einen Rückgang von 53%. Dagegen lassen sich bei jenen, denen es generell besonders wichtig ist, sich im Rahmen einer Urlaubsreise unterhalten zu lassen oder Spaß, Freude und Vergnügen zu haben, geringere Rückgänge ausmachen (-17 bzw. -24%).

Gr. 3: Deutsche Türkei-Reisende 2015 und 2016: Wiederholer/Erstbesucher
(Basis: deutsche Wohnbevölkerung ab 14 Jahre, Haupt-Urlaubsreise, ab 5 Tagen Dauer)

Auffällig ist u.a., dass im Jahr 2016 Frauen in überdurchschnittlich geringerem Maße die Türkei besuchten (-38%), ebenso junge Leute bis 29 Jahre (-37%) sowie 70 Jahre und ältere Personen (-46%) und solche mit einem Haushaltsnetto-Einkommen von 3.000 Euro und mehr (-45%). Extrem starke Rückgänge ergaben sich u.a. bei Personen mit hoher formaler Bildung (-62%),  bei Angehörigen der obersten zwei (von insges. sieben) sozialen Schichten (-78%) (Grafik 4), bei Urlaubern aus sozial gehobenen Milieus (bis -59%) sowie bei Reisenden, die dem sog. Sozialökologischen Milieu angehören (-69%), „ein konsumkritisch/-bewusstes Milieu der sozialen Mitte, mit normativen Vorstellungen vom ‚richtigen‘ Leben: ausgeprägtes ökologisches und soziales Gewissen; Globalisierungs-Skeptiker, Bannerträger von Political Correctness und Diversity“.

Gr. 4: Deutsche Türkei-Reisende 2015 und 2016: Soziale Schicht
(Basis: deutsche Wohnbevölkerung ab 14 Jahre, Haupt-Urlaubsreise, ab 5 Tagen Dauer

Welche der o.g. negativen Rahmenbedingungen in welchem Maße und in welcher Kombination die Entscheidung zum Verzicht auf eine Urlaubsreise in die Türkei beeinflusst haben, lässt sich aus dem zu Grunde liegenden Datenmaterial nicht ermitteln.

Zahlenmäßig unverändert hatten dagegen Angehörige des sog. Adaptiv-pragmatischen Milieus die Türkei bereist, „die moderne junge Mitte unserer Gesellschaft mit ausgeprägtem Lebenspragmatismus und Nutzenkalkül“. Kaum Zurückhaltung zeigten Angehörige des sog. Hedonistischen Milieus (-3%).

Perspektiven für 2018

Wie sich 2018 im deutschen Quellmarkt das Gesamtvolumen der Urlaubsreisenden in Entwicklungs- und Schwellenländer entwickelt, wird nicht zuletzt vom Türkei-Tourismus abhängen. Immerhin hatte sich 2017 der drastische Rückgang deutscher Türkei-Urlauber aus dem Vorjahr nicht in dem Maße fortgesetzt. Und im Januar 2018 war der seit Januar 2016 anhaltende starke Negativ-Trend des Markt-Potenzials für Türkei-Urlaubsreisen gestoppt (Grafik 5): Das Dreijahres-Potenzial deutscher Türkei-Urlauber hatte sich zwischen Januar 2015 (19,3 Mio.) und Januar 2017 um 8,2 Mio. auf 11,1 Mio. (-43%) reduziert. Anfang 2018 sind es 11,2 Mio. für den Zeitraum 2018-2020 (+0,1%). In welchem Maß sich 2018 eine deutlich positive Wende beim Türkei-Tourismus der Deutschen ergibt, wird vor allem davon abhängen, inwieweit sich die o.g. negativen politisch bedingten Rahmenbedingungen verringern und zu einer wünschenswerten Wieder-Verbesserung des Türkei-Image im deutschen Quellmarkt beitragen. Das touristische Angebot dürfte unverändert attraktiv sein.

Gr. 5: Potenziale für Urlaubsreisen in Entwicklungs- und Schwellenländer 2001-2018
jeweils für einen Dreijahreszeitraum

Bei der Destination Nordafrika lag die Besucherzahl im Jahr 2017 bereits deutlich höher als im Vorjahr. Dasselbe gilt für die Gruppe der fernen Entwicklungs- und Schwellenländer. Auch die Interessenten-Potenziale jener Deutschen, die sich im Januar 2018 vorstellen konnten, in den kommenden drei Jahren „ziemlich sicher“ oder „generell“ nordafrikanische Destinationen oder ferne Länder des Globalen Südens zu bereisen, haben zugenommen. Das Nordafrika-Potenzial zeigt mit 9,3 Mio. ein Plus von 16% im Vergleich zum Vorjahr.

Bleibt festzuhalten, dass die Zahl deutscher Nordafrika-Urlauber mit 1,2 Mio. im Jahr 2017 noch deutlich unter dem letzten Höchstwert von 2010 liegt (1,9 Mio.). Auch hier wird die weitere Entwicklung vor allem davon abhängen, inwieweit es gelingt, das interne politisch bedingte Krisen- und Konfliktpotenzial zu reduzieren – auch zugunsten einer Stärkung der persönlichen Sicherheit und Befindlichkeit von ausländischen Besuchern.

Die Grafiken können als separate Dateien in druckfähiger Qualität auf Anforderung zur Verfügung gestellt werden.
Für den Text verantwortlich: Susanne Egermeier, Dietlind von Laßberg, Armin Vielhaber

Die Studienkreis-Forschung zum Tourismus in Entwicklungs- und Schwellenländer erfolgt im Rahmen von qualitativer und quantitativer Eigen- und Auftragsforschung. Sie basiert u.a. auf einer regelmäßigen Beteiligung an der Reiseanalyse der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e.V. (F.U.R), deren Gründungsmitglied der Studienkreis für Tourismus und Entwicklung e.V. ist. Neben generellen Analysen des deutschen Quellmarkts für Urlaubsreisen reicht das Themenspektrum (auf Basis von Studienkreis-Exklusivfragen) von der Einschätzung positiver und negativer Wirkungen des Tourismus auf die Länder des Globalen Südens, über die Ansprechbarkeit der Urlauber auf das Kennenlernen von Land und Leuten und interkulturelle Begegnung, ihre Erwartungen an die Reiseleitung/Urlaubsbetreuung vor Ort, bis zur Ansprechbarkeit auf Themen wie Urlaubsreisen und Umwelt oder Urlaubsreisen und Menschenrechte. Mit Studienkreis-Exklusivfragen in diversen Reiseanalysen wurde (auf Basis von ca. 8.000 face-to-face-Interviews) seit 1995 auch mehrfach das touristische Image der Türkei analysiert (u.a. Gründe, die für oder gegen Urlaubsreisen in die Türkei sprechen), ebenso die Bedeutung und das Image von All-inclusive-Reisen für diese Destination.

Der Studienkreis für Tourismus und Entwicklung beschäftigt sich mit entwicklungsbezogener Informations- und Bildungsarbeit im Tourismus. In diesem Zusammenhang gibt er Publikationen heraus, führt internationale Wettbewerbe durch, veranstaltet Aus- und Fortbildungsseminare für im Tourismus Beschäftigte, ist in den Bereichen Tourismusforschung und -beratung tätig und beteiligt sich am Dialog über Fragen touristi­scher Entwicklung.

Pressekontakt
Studienkreis für Tourismus und Entwicklung e. V.
Claudia Mitteneder, Geschäftsführung
Bahnhofstraße 8, 82229 Seefeld
Tel.: +49 8152 999010 | info@studienkreis.org | www.studienkreis.org

 

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